Moskaus Schatten über dem NSA-Ausschuss
Bislang kümmerte sich der NSA-Ausschuss vor allem um den Wissensdurst der USA. Nun wird deutlich, dass ein russischer Dienst Einfluss auf das Gremium genommen haben könnte – über einen BND-Mann.
Ein Treffen veränderte alles. Roderich Kiesewetter, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Aalen, aufstrebender Außenpolitiker seiner Partei, war gerade zum Obmann der Union im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages auserkoren worden, da meldete sich ein alter Bekannter. Kiesewetter hatte den Mann, nennen wir ihn Z., seit Längerem nicht mehr gesehen. Doch das, was Z. ihm jetzt streng vertraulich sagte, hatte es in sich: In seinem, also Kiesewetters, engstem Umfeld seien zwei BND-Mitarbeiter aktiv. Zwei Personen aus der Führung des Reservistenverbands der Bundeswehr, dem der 51-jährige Ex-Soldat Kiesewetter vorsteht, seien für den BND tätig.
Der deutsche Auslandsgeheimdienst in unmittelbarer Nähe zu einem Spitzenpolitiker, der die Überwachungspraktiken und Kooperationen von NSA, BND und Co. aufklären soll? Für Kiesewetter war bald klar, dass diese Informationen einen Skandal auslösen könnten. Man hätte ihm, der den BND im Ausschuss vehement verteidigt hatte, vorwerfen können, dem Nachrichtendienst viel zu nahe zu stehen. Er zog Konsequenzen und trat Anfang dieses Jahres als Chefaufklärer der Union in dem Bundestagsgremium zurück. Offizielle Begründung: zu hohes Arbeitspensum.
Die “Welt am Sonntag” berichtete kurz darauf, dass Kiesewetter das nur vorgeschoben hatte, und nannte den wahren Grund. Die Abgeordneten im Ausschuss wollten anschließend freilich mehr wissen. Sie bohrten nach, stellten Fragen im Untersuchungsausschuss. Doch sie kamen nicht weiter. Weder BND, noch Kanzleramt, noch Kiesewetter wollten Details preisgeben. Vor allem eine Frage blieb offen: Wer war der Informant?
Wie Recherchen der “Welt am Sonntag” nun ergeben haben, ist die Antwort auf diese Frage hochbrisant: Der damalige Hinweisgeber verriet nicht nur Helfer des Geheimdienstes. Der Mann ist selbst beim BND tätig. Und nicht nur das: Er stand lange im Verdacht, für einen ausländischen Geheimdienst als Doppelagent tätig gewesen zu sein. Und zwar für die Russen.
Die Russen und der BND
Bislang kümmerten sich die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss aufgrund der Snowden-Enthüllungen vor allem um den Wissensdurst der Amerikaner und ihres Geheimdienstes National Security Agency (NSA). Nun wird deutlich, dass ein russischer Dienst maßgeblichen Einfluss auf die Arbeit des Gremiums genommen haben könnte. Der BND-Mitarbeiter tauchte nämlich bereits in einem der spektakulärsten Spionagefälle seit der Wiedervereinigung auf.
Rückblick: Ende August 2003 lud die “Deutsch-Atlantische Gesellschaft” im pfälzischen Lambrecht zu einer Konferenz ein. Titel der Veranstaltung in dem Ort zwischen Kaiserslautern und Mannheim: “Sicherheitsbegriff und Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert in Deutschland, Europa und der Welt”. Gekommen waren zahlreiche ehemalige und aktive Militärs, Diplomaten, allerlei Sicherheitsexperten und Geheimdienstler. Unter den Gästen war auch ein unscheinbarer Mann mit grauem Haar und schmalen Lippen: Andreas Anschlag. Er stellte sich als Ingenieur in der Automobilbranche vor. Seine wahre Tätigkeit aber blieb mehr als zwei Jahrzehnte ein Geheimnis: Top-Spion für den russischen Auslandsgeheimdienst SWR.
Andreas Anschlag und seine Ehefrau Heidrun lebten und arbeiteten bis zu ihrer Festnahme im Oktober 2011 unter falscher Identität in Deutschland. Bereits ihre Einreise 1989 war Teil der Legende. Angeblich wurden die beiden in Südamerika geboren, heirateten in Österreich. Ihre Aufgabe war es, geheime Informationen zu beschaffen: Dokumente zu Nato, EU, über die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik. Das Agenten-Pärchen war erfolgreich. Andreas Anschlag besuchte immer wieder Veranstaltungen wie jene in Lambrecht. Derartige Konferenzen waren für den russischen Top-Spion ideale Orte, um potenzielle Informanten kennenzulernen. Namen und Kontaktdaten übermittelten die Anschlags anschließend an die Zentrale in Moskau. “Tippen” nennen die Geheimdienste diese Vorauswahl.
SWR-Spion nimmt Z. ins Visier
Auch bei der Sicherheitskonferenz in der Pfalz traf der russische Spion auf einige Personen, die als vielversprechende Quellen infrage kamen. Etwa einen Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium, zuständig für das Personalmanagement. Oder einen ehemaligen Präsidenten des Militärischen Abschirmdienstes (MAD).
Auf eine Person aber warf der SWR-Spion ein besonderes Augenmerk: auf Z., damals Referent des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn – und auf dem Weg, Mitarbeiter des BND zu werden. Z. hatte das Fach Internationale Beziehungen in den Vereinigten Staaten und Deutschland studiert. Er referierte zu Terrorismus-Gefahr, Cyber-Attacken und diversen Sicherheitsthemen.
Der russische Geheimdienst SWR versuchte daraufhin, Z. anzuwerben. Ein Mitarbeiter aus dem russischen Generalkonsulat in Bonn – in Wahrheit wohl SWR-Offizier – nahm nach Informationen der “Welt am Sonntag” schließlich Kontakt auf. Man ging zusammen Mittag essen, telefonierte. Diese Kontaktversuche verliefen aber wohl im Sande. Erst als das Ehepaar Anschlag aufgrund von Hinweisen aus den USA aufgeflogen war, erkannte man beim BND das Problem.
Nach der Festnahme des Paares im Juni 2011 stießen die Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Spionageabwehr des Verfassungsschutzes auf ein paar Hinweise, wonach Z. als Quelle ausgewählt worden war. So viel konnte zumindest rekonstruiert werden. Mehr konnte man nicht beweisen: Im Verlauf des späteren Prozesses gegen Andreas und Heidrun Anschlag tauchte Z. lediglich in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft und als Zeuge auf.
Fall für Eigensicherung des BND
Dennoch war er fortan ein Fall für die sogenannte Eigensicherung des Geheimdienstes. Die streng geheime Einheit des Dienstes kommt immer dann zum Einsatz, wenn ein deutscher Agent in den Verdacht gerät, für einen fremden Geheimdienst zu spionieren. Dann beginnt eine heikle Aufgabe: die eigenen Mitarbeiter beobachten, observieren, ausforschen – ohne dabei aufzufallen. Bei Z. schaute man nun ganz genau hin, mit wem er sich traf und austauschte. Die Hinweise, wonach der Mann ein Doppelspion Russlands sein könnte, erhärteten sich offenbar. Nur so ist zu erklären, dass der BND schließlich eine sogenannte G-10-Maßnahme beantragte.
Z.s komplette Kommunikation wurde überwacht, was die zuständige Kommission des Bundestags nur in ganz wenigen Fällen zulässt. Doch so sicher man sich zuvor offenbar war – Beweise fanden sich nicht. Es blieb beim Verdacht, der sich nicht weiter erhärten ließ. Z. versuchte daraufhin, in der privaten Wirtschaft unterzukommen, unter anderem bei Axel Springer (“Bild”, “Welt”, N24). Doch die Versuche blieben erfolglos. Z. arbeitet bis heute beim BND.
Während seine Karriere in heftige Turbulenzen geraten war, stieg Roderich Kiesewetter in diesen Jahren zu einem der führenden Außenpolitiker der Unionsfraktion im Bundestag auf. Vehement vertrat er die Positionen von Fraktion und Partei. Das war auch der Fall, als er im vergangenen Jahr Obmann der Unionsfraktion im NSA-Untersuchungsausschuss wurde.
Warum gibt Z. Kiesewetter Hinweise?
Kiesewetter bildete ein Gegengewicht zu den NSA- und BND-Kritikern. Als etwa der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, die Überwachung von Ausländern als verfassungswidrig bezeichnete, konterte Kiesewetter: “Professor Papier hat fantasiert.” Regierung und BND konnten auf den CDU-Obmann zählen, auf ihn war Verlass.
Im Oktober 2014 kreuzten sich die Wege von Z. und Kiesewetter dann folgenreich. Der Abgeordnete bestätigte auf Anfrage, dass Z. ihn über die BND-Helfer im Reservistenverband informiert hat: “Es trifft zu”, sagte er. Beide kannten sich seiner Aussage nach flüchtig: “Ich sehe ihn als weitläufige Bekanntschaft.” Erstmals habe er Z. um die Jahrtausendwende im Rahmen eines transatlantischen Förderprogramms für junge Führungskräfte kennengelernt. Die Motive für den Hinweis an Kiesewetter bleiben dabei unklar. Wollte er Kiesewetter schützen? Wollte er seinem Arbeitgeber eins auswischen? Oder hatte er einen Auftraggeber? Z. antwortete auf Anfrage lediglich: “Aus dienstrechtlichen Gründen kann ich mich zu diesen Vorwürfen derzeit nicht äußern.”
Der Bundestag wurde über diesen Vorgang aus dem Herbst bislang nicht in Gänze unterrichtet. Weder das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) noch der NSA-Untersuchungsausschuss haben erfahren, dass ausgerechnet ein BND-Mitarbeiter den Tipp an Kiesewetter gab, der dann zu seinem Rücktritt führte. Und dass dieser Mann im Verdacht stand, mit Moskau kooperiert zu haben. BND und Bundesregierung werden den Abgeordneten erklären müssen, warum ihnen diese brisanten Details vorenthalten wurden. Der Dienst teilte mit, dass man sich “zu laufenden Personalsachen oder etwaigen Besonderen Vorkommnissen” nicht öffentlich äußere.
Z. drohen nun strafrechtliche Konsequenzen. Wenn er tatsächlich die Informationen an Kiesewetter weitergegeben haben sollte, und es spricht vieles dafür, könnte das den Tatbestand des Geheimnisverrats erfüllen. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe.
Mehr Hintergründe zum Fall Anschlag vom “Welt”-Investigativteam: “Tippen für Moskau”
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